Fahrt der Klassen 8 nach Point Alpha
Von der Homepage der Leipziger Volkszeitung:
Zurück in die Vergangenheit - Schüler am Eisernen Vorhang
Rasdorf/Geisa. Wachtürme, Grenzzäune und schauerliche Schilderungen von Selbstschussanlagen und einem menschenverachtenden Regime: Die Schüler staunen und folgen gebannt den Erzählungen des Museumsführers aus einer für sie völlig fremden Zeit. „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie die in der DDR ihre eigenen Leute eingeschlossen und beschossen haben", sagt die 13-jährige Darya, die mit ihrer Schulklasse die Gedenkstätte Point Alpha an der Grenze zu Thüringen besucht.
Die Gymnasiastin aus Hilders in Osthessen ist eine von vielen Zehntausenden Besuchern, die in diesem Jahr bereits an den geschichtsträchtigen Ort gekommen ist. Er gilt als einer der „heißesten" im Kalten Krieg. In wenigen Regionen war die Konfrontation zwischen Ost und West so deutlich zu spüren wie zwischen Rasdorf auf hessischer und Geisa auf thüringischer Seite.
Daryas Klassenkamerad Thomas (14) ist bei dem Rundgang durch eine der Ausstellungen überrascht, „wie viel Aufwand die an der Grenze betrieben haben", wie ausgeklügelt und pervers dieser Überwachungsstaat arbeitete. „Mich hat auch erstaunt, wie lang die Grenze war - knapp 1400 Kilometer von Nord nach Süd."
Um all das authentisch kennenzulernen, was die Schüler vielleicht nur mal flüchtig im Fernsehen gesehen haben, ist Klaus Mock mit den Achtklässlern an den ehemaligen Eisernen Vorhang gefahren. Er will ihnen einen Blick hindurch ermöglichen und klar machen, dass sich „hier früher Weltgeschichte abgespielt" hat. „Das Wissen bleibt besser haften, wenn man es an solchen Orten vermittelt", berichtet der 58 Jahre alte Lehrer aus langer Erfahrung. Er findet: Jeder Schüler sollte solche Gedenkstätten besuchen, die sich mit der deutschen Teilung beschäftigen. In Hessen, Berlin oder anderswo.
Der Lehrer glaubt, dass das jüngste Kapitel deutsch-deutscher Geschichte „zu wenig" im Unterricht behandelt wird. Stattdessen werde der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg stark thematisiert. „Das hängt den Schülern aber langsam zum Hals raus", beobachtete Mock. Auch seine Schülerin Darya findet: „Das Thema mit der DDR kommt zu spät dran. Das führt dazu, dass viele sich nicht so gut auskennen. Da wundert man sich schon manchmal. Wir wissen zwar, was die Stasi war. Aber in unserer Altersklasse ist das weniger ein Thema."
Beim Rundgang durch die Ausstellung sehen die Schüler auch einen Film über Wahlmanipulationen, über das Aufbegehren der Bürger und der Entwicklung zur Friedlichen Revolution vor mehr als 20 Jahren. Nicht mal ein Schuss fiel, keine Todesopfer waren zu beklagen. Die Schüler kichern über den merkwürdig aussehenden „Tagesschau"-Sprecher. Ein wenig ergriffen wirken sie dann wieder, wenn sie die zu Tränen gerührten Menschen sehen, die ihr Glück angesichts der Maueröffnung kaum fassen können und sich freudig in den Armen liegen. „Da kann man ahnen, was es den Menschen damals bedeutet haben muss", sagt Darya. „Ich finde es wichtig, aus der Vergangenheit zu lernen und darüber Bescheid zu wissen."
So wissbegierig scheinen bei weitem nicht alle Teenager zu sein: Der Direktorin der Point Alpha-Stiftung kommen bei ihren Gesprächen mit Schülern so manche wunderliche Irrtümer unter, die erhebliche Wissenslücken offenbaren. Uta Thofern sieht deswegen dringenden Handlungsbedarf: Das jüngste Kapitel deutsch-deutscher Geschichte müsse früher und stärker in den Lehrplänen vorkommen. Der Wissensstand sei zum Teil unterirdisch: Da würden Schlagbäume an Grenzen für Waffen gehalten, erzählt sie. Und wenn sie Studien zum Wissenstand liest, könnte sie die Hände überm Kopf zusammenschlagen: Da glauben nicht wenige, der ehemalige DDR-Staatschef Erich Honecker hätte sich Liedermacher einen Namen gemacht.
© LVZ-Online, 01.10.2010, 13:52 Uhr
Bilder: Ulstertalschule